Bodo Ortmeier schrieb am 06.01.2015 - 17:12 Uhr
Vor 59 Jahren, am 16.1.1956, traf der letzte Spätheimkehrertransport aus der Sowjetunion
im Grenzbahnhof Herleshausen/Kreis Eschwege ein.
Ich wohnte zu der Zeit mit meiner Familie in Herleshausen. Ich war Schüler, 13 Jahre, also
7 Jahre vor meiner Grundausbildung beim BGS in Alsfeld. Mein Vater war zu der Zeit Stationsleiter
der Polizeistation Herleshausen. Die Grenzübergangsstelle Herleshausen/Wartha war eine der vier
Übergangsstellen von der Bundesrepublik zur Ostzone.
Die Eisenbahnstrecke zwischen Eisenach (Ost) und Bebra (West) führte in der Gemarkung Herleshausen
ca. 3 km über westdeutsches Gebiet, bevor die Strecke wieder in den Osten ging, um hinter Gerstungen
erneut westdeutsches Gebiet zu erreichen. Der Bahnkörper im Herleshäuser Gebiet und die Bahnanlagen, wie auch der Bahnhof Herleshausen, gehörten der Reichsbahn, standen also unter ostdeutscher Hoheit.
Vergleichbar mit der S-Bahn im damaligen Berlin.
Es war der 16.1.1956 als der letzte Spätheimkehrertransport aus der Sowjetunion den freien Teil von
Deutschland erreichte. Insgesamt hatte die Sowjetunion in dem 2. Weltkrieg 2.389.560 (sprich:zweimillionendreihundertneunundachtzigtausendfünfhundertsechzig) deutsche Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten in Gefangenschaft genommen. Das Schicksal derer, die in den Arbeitslagern- und auf dem Weg dahin umkamen, ist eine fast unmessbare Tragödie dieses Krieges gewesen. Wobei die Niederlage bei Stalingrad in Eis und Schnee, damit der Untergang der 6. Armee quasi der Anfang vom Ende war.
Nach den Verhandlungen , die der Bundeskanzlker Dr.Adenauer im Jahr 1955 in Moskau führte, wurden die letzten 10.000 Soldaten und Offiziere, die in dem Gulag saßen, von den Sowjets frei gegeben und anschließend in einzelnen Transporten über den Grenzbahnhof Herleshausen in die Freiheit entlassen.In Eisenbahnzügen mit Güterwaggons wurden die Spätheimkehrer aus den Lagern in Westsibirien und Zentralrussland entlassen. Je Transport waren es bis zu 1.000 Heimkehrer, die Herleshausen erreichten.
Bis in den Spätherbst 1955 erreichten die Transporte Herleshausen. Für die Winter .und Weihnachtszeit war offensichtlich kein Transport zu erwarten. So war auch der zuständige Legationsrat vom Auswärtigen Amt in Bonn, der zuvor alle Transporte von den Sowjets übernahm, am 15.1.1956 noch im Winterurlaub.
In den Monaten zuvor wohnte der hohe Diplomat mit Mercedes und Fahrer im nahen Hotel St.Georg in Altefeld. Ein Mercedes war damals schon etwas besonderes auf dem flachen Land.
Am 15.1.1956, abends, erhielt mein Vater einen Telefonanruf von der Volkspolizei in Wartha. Das geschah von Ostseite natürlich grußlos, man meldete sich als Dienststelle und gab zur Kenntnis, dass ein Heimkehrertransport aus der Sowjetunion am Abend den Bahnhof Frankfurt/Oder Richtung Herleshausen auf der Bahnstrecke verlässt.
Jetzt wurde endlos telefoniert um die Organisation für den Empfang am Bahnhof Herleshausen zu regeln. Die Versorgung durch das Rote Kreuz, Ärzte, ebenso Busse für den Transport in das Entlassungslager Friedland bei Göttingen. Und, der Legationsrat war nicht zu erreichen. Der Vorgesetzte meines Vaters war auch nur telefonisch greifbar.
So veranlasste er, dass mein Vater die Übernahme mit den Sowjets regeln sollte. So musste ein hessischer Polizeimeister im Mittleren Dienst den Legationsrat aus Bonn ersetzen.
Immer dann, wenn ein Heimkehrertransport Herleshausen erreichte, läuteten die Glocken der Kirche, hatten wir Schüler frei -und waren mit der Bevölkerung am Bahnhof zum Empfang. Das dauerte oft Stunden.
Am 16.1.56, morgens, fuhr der Dampfzug mit dem Transport in den Bahnhof ein. Die Waggontüren waren von den Heimkehrern schon auf geschoben. Die begleitenden sowjetischen Offiziere verließen zunächst den Zug und betraten das Bahnhofsbüro. Nun ging mein Vater, natürlich in Uniform, ebenfalls in das Bahnbüro und grüßte durch Handanlegen an die Dienstmütze, was die Offiziere erwiderten. Mein Vater sprach natürlich nicht russisch, einer der Offiziere allerdings sehr gut deutsch. Mein Vater nannte Name und Dienstgrad, sowie Dienststelle, was von den Sowjets notiert wurde. Bevor mein Vater für die Bundesrepublik unterzeichnete, prüfte er den Text der Papiere, die auch in deutsch ausgestellt waren.
Mit dem üblichen Gruß ging man auseinander, anschließend wurde die Anzahl der Heimkehrer überprüft.
Die Heimkehrer hatten nun auch den Zug verlassen und kamen durch das kleine Bahnhofsgebäude auf den Bahnhofsvorplatz. Hier wurden sie versorgt, erhielten Brotzeit und Obst und manchen Blumenstrauß.
Und, wir drängten uns um die Männer, die vielfach kaum sprechen konnten, so waren sie von ihrer Freiheit betroffen. Später starteten sie in Bussen zur Fahrt Richtung Entlassungslager Friedland.
Die Bevölkerung säumte in den Ortschaften und Städten, wie Eschwege, den Weg der Heimkehrer. So mussten die Busse immer wieder anhalten. Die Begrüßung war herzlich -und man reichte immer wieder kleine Geschenke und Blumen in die Busse.
In wenigen Tagen ist das 59 Jahre her.
Gruß...Bodo Ortmeier